Sollte ich meinen Notgroschen investieren?
Eine Workshop-Teilnehmerin stellte neulich eine sehr sinnvolle Frage, als ich das Konzept und die Bedeutung eines Notgroschens vorstellte:
“Warum sollte ich meinen Notgroschen ohne Zinsen, dafür mit steigender Inflation auf dem Konto liegen lassen? Ich könnte das Geld doch stattdessen investieren, und falls meine Waschmaschine oder mein Auto kaputt geht, nehme ich einen Kredit auf. Der Gewinn auf meine Investitionen ist höher als das, was ich als Zinsen zahle.“
Theoretisch hat diese Teilnehmerin absolut recht; eine Waschmaschine bekomme ich, sofern ich einen stabilen Job habe, sogar mit 0%-Finanzierung. Warum sollte ich dann für genau so einen Waschmaschinen-Totalschaden vorsorgen?
Eine 0 %-Finanzierung ist nicht kostenlos.
Falls nur die Waschmaschine kaputt geht, bekommst du vermutlich eine günstige Finanzierung. Häufig ist eine 0%-Finanzierung aber nicht wirklich kostenlos: Du zahlst vielleicht für die ersten Monate keine Zinsen, aber danach schlagen die Anbieter doch zu.
Der Notfall sieht häufig anders aus als gedacht.
Wirklich gefährlich wird es aber, wenn mehrere Gründe zusammentreffen, für die du Geld benötigst:
- Die Waschmaschine und das Auto geben gleichzeitig ihren Geist auf.
- Wenn du mehrere solcher Kredite parallel beantragst, bekommst du keine 0 %-Finanzierung mehr. Im Gegenteil: Mit jedem weiteren Kredit steigen die Zinsen, die du bezahlen musst.
- Deine Lebenshaltungskosten erhöhen sich ungeplant.
- Wenn du dich zum Beispiel von deiner Partnerin* trennst und aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen musst, erhöhen sich im Zweifelsfall (kurzfristig) deine Lebenshaltungskosten: Du musst doppelte Miete zahlen, du brauchst neue Möbel oder du mietest dich vorübergehend in einem Hotel ein. Für solche Fälle bekommst du keinen Kredit.
- Du verlierst deinen Job.
- Ohne die Sicherheit deines Gehalts bekommst du keinen Kredit und keine 0 %-Finanzierung für eine Waschmaschine. Und einen Kredit zu bekommen, um deine Lebenshaltungskosten zu decken, wenn du kein Arbeitslosengeld erhältst, wird ebenso unmöglich.
Einige “geplante Notfälle” wie die kaputte Waschmaschine kannst du mit einer günstigen Finanzierung überbrücken. Für die großen, ungeplanten Notfälle ist der Notgroschen aber häufig die beste und einzige Möglichkeit, die du hast.
Und nicht vergessen:
Auch psychologisch geht es und häufig viel besser, wenn wir wissen, dass wir uns im Zweifelsfall aus eigener Finanz-Kraft aus einer Situation befreien können und nicht von einer Bank oder einer anderen Kreditgeberin abhängig sind.
*Wegen der besseren Lesbarkeit benutzen wir nur die weibliche Form. Männer sind selbstverständlich mitgemeint!
Lieben Dank für Deine klaren Worte.