Der Matilda-Effekt und seine Auswirkungen

Warum haben 782 MĂ€nner den Nobelpreis erhalten, aber nur 56 Frauen? (Stand 2020) 🧐

Haben MĂ€nner einfach den grĂ¶ĂŸeren erfinderischen Drang? Mehr wissenschaftliches Talent? Einfach mehr Möglichkeiten, ihrem Wissensdurst nachzugehen?

Eine plausiblere ErklĂ€rung liefert uns der sogenannte „Matilda-Effekt“. Er bezeichnet das PhĂ€nomen, dass Frauen und ihre Errungenschaften in der Wissenschaftsgeschichte oft vergessen, ausgeklammert oder ignoriert wurden, und zwar systematisch.

Matilda wer
?

Der Begriff geht auf zwei Frauen zurĂŒck: die Historikerin Margaret W. Rossiter (*1944) und die feministische Schriftstellerin Matilda Joslyn Gage (1826-1898).

Gage selbst hatte in ihrem Leben viele Beispiele fĂŒr den Matilda-Effekt (mit-)erleben mĂŒssen, in denen Frauen fĂŒr ihre BeitrĂ€ge in Wissenschaft, Literatur und Politik nicht angemessen anerkannt wurden. Sie kĂ€mpfte leidenschaftlich gegen die Diskriminierung von Frauen und amerikanischen Ureinwohnern sowie gegen die Sklaverei und verfasste mehrere BĂŒcher und Essays[1].

Rossiter, die sich ebenfalls mit den Errungenschaften vergessener Wissenschaftlerinnen beschĂ€ftigt, nahm ein Jahrhundert spĂ€ter Bezug auf Gages Veröffentlichungen und publizierte 1993 das Essay „The Matilda Effect in Science“. Als Hommage und WĂŒrdigung ihrer Schwester im Geiste taufte sie das PhĂ€nomen auf den Namen der nicht beachteten Gage.

Ein paar Beispiele

Die österreichische Physikerin Lise Meitner (1878-1968) ist wohl das bekannteste Beispiel fĂŒr den Matilda-Effekt. Ihre Forschung war entscheidend fĂŒr die Entdeckung der Kernspaltung. Den Nobelpreis dafĂŒr heimste 1944 allerdings ein mĂ€nnlicher Kollege ein.

Auch die englische Biochemikerin Rosalind Franklin (1920-1958) wurde Opfer des Matilda-Effekts: Sie entdeckte mit ihrer Forschung die Doppelhelix-Struktur und somit den Aufbau der menschlichen DNA. Drei ihrer mĂ€nnlichen Kollegen, die an dieser Stelle explizit ungenannt bleiben, hatten sich Zugang zu Franklins Forschungen verschafft und erhielten fĂŒr Franklins Entdeckung 1962 den Nobelpreis fĂŒr Medizin.

Katherine Johnson, eine afroamerikanische Mathematikerin, trug wesentlich zur Berechnung der Flugbahnen von RaumflĂŒgen bei, einschließlich der Missionen Mercury und Apollo. Ihre Leistung wurde lange Zeit nicht anerkannt. 2015 wurde ihr von PrĂ€sident Barack Obama die Presidential Medal of Freedom verliehen. Ihre Lebensgeschichte wird im Film Hidden Figures erzĂ€hlt, absolut sehenswert!

Wenn ihr euch fragt, warum diese IrrtĂŒmer mit dem Wissen von heute nicht klargestellt werden: Nobelpreise werden leider nicht posthum verliehen.

Matilda-Effekt – ein PhĂ€nomen nur in der Wissenschaft?!

Auch außerhalb der Wissenschaft ist der Matilda-Effekt zu beobachten:

Viele Werke von Berthold Brecht wurden etwa von seiner Geliebten Margarete Steffin mitgeschrieben. UnzĂ€hlige Straßen, PlĂ€tze und Schulen wurden nach ihm benannt, wĂ€hrend sie weitgehend unbekannt blieb.

In Wahrheit schuf nicht Walt Disney den ersten Trickfilm, sondern die deutsche Scherenschneiderin Charlotte Reiniger (1899-1981).

Auch Komponistinnen ereilte oft ein Ă€hnliches Schicksal: Sie waren teilweise gezwungen, ihre Werke unter dem Namen von BrĂŒdern oder EhemĂ€nner zu veröffentlichen. So erging es zum Beispiel der deutschen Komponistin Fanny Mendelssohn-Hensel (1805-1847). FĂŒr sie galt daheim Komponier-Verbot und sie durfte gewisse Werke nur unter dem Namen ihres bekannteren Bruders veröffentlichen.

Ist der Matilda-Effekt passé?

Trotz einiger Fortschritte im Bereich der Geschlechtergerechtigkeit in der Forschung bleibt der Matilda-Effekt bis heute relevant: NobelpreistrĂ€ger sind immer noch meist weiß und mĂ€nnlich. Und auch abseits des Nobelpreises bleibt der Effekt ganz klar spĂŒr- und messbar, z. B.  durch den sogenannten Gender Citation Gap. Dieser zeigt: In wissenschaftlichen Arbeiten werden ĂŒberproportional hĂ€ufig mĂ€nnliche Forschende zitiert, wĂ€hrend weibliche Forschende ausgelassen werden. Der Matilda-Effekt zeigt also eine erstaunliche Persistenz.

Was können wir tun?

Achte darauf, wen du liest, wen du zitierst, wem du eine Plattform gibst! NatĂŒrlich sollte es in der Wissenschaft egal sein, nur das Forschungsergebnis zĂ€hlt. Aber Frauen forschen hĂ€ufiger an Frauenthemen (siehe Medizin), MĂ€nner hĂ€ufiger an MĂ€nnerthemen. Daher ist es wichtig, Frauen genauso viel Aufmerksamkeit zu geben wie MĂ€nnern.

WeiterfĂŒhrende Ressourcen zum Thema:

 

 

[1] U. a. Matilda Joslyn Gage: „Women as Inventor”, 1870; https://iiif.lib.harvard.edu/manifests/view/drs:2575141$1i

 

 
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